Neukirchen-Vluyn, eine Bergbaustadt am linken Niederrhein

15.03.2022

Der Steinkohlenbergbau im Ruhrgebiet blickt auf eine sehr lange Tradition zurück. Bereits für das Jahr 1296 ist ein erster Kohlebergbau für Dortmund belegt. Der ungeregelte Abbau hatte aber erhebliche Flurschäden zur Folge. So erließ König Friedrich II von Preußen 1766 eine Bergordnung für das Herzogtum Cleve, das Fürstentum Meurs und die Grafschaft Mark. Er hatte die Bedeutung der Kohle für die Wirtschaft und die Kriegsindustrie erkannt.
1804 zählte man im Ruhrgebiet schon 229 Zechen mit einer Gesamtjahresförderung von 380.000 Tonnen.
 
Doch schon in der Mitte des 19. Jahrhunderts reichten die Kapazitäten der Stollenzechen nicht mehr aus, um den Kohlebedarf der beginnenden Industrialisierung zu decken. Erste Tiefbauschächte wurden angelegt, um tiefer liegende Flöze zu erschließen. Mit dem allgemeinen Berggesetz für Preußen, 1865, ging der Bergbau von der staatswirtschaftlichen in die privatwirtschaftliche Form über.
 
(Grubenfeld Niederberg, Copyright Museumsarchiv NV)
 
Das Abteufen eines Schachtes war eine langfristige und auch spekulative finanzielle Investition, da sich das Abteufen über Jahre hinziehen konnte und der Verlauf der Flöze und der Störungen nur unzureichend bekannt waren.
Die Anfänge des Bergbaus am linken Niederrhein gehen auf die Initiative des Ruhrorter Kaufmanns Franz Haniel zurück. Er war der erste, der auf der Suche nach Kohle den Sprung nach Westen auf die linke Rheinseite wagte, obwohl bekannte Geologen die These vertraten, dass der Rhein die westliche Grenze der Steinkohlenlagerstätte sei. Durch zahlreiche Bohrversuche, die Haniel seit 1851 auf eigene Kosten durchführte, hatte er schon das Kohlevorkommen erkannt. Am 17.5.1854 stellte er einen Antrag auf Verleihung eines Grubenfeldes, die dann am 29.6.1857 erfolgte.
 
Das Grubenfeld „Verein“ bildete mit rund 49 Millionen qm die Keimzelle der Schachtanlage „Niederberg“ in Neukirchen, die 1923 zur „Niederrheinischen Bergwerks Aktiengesellschaft“ wurde. Der zentrale Teil des recht großen Grubenfeldes der Schachtanlage lag unter den Gemeinden Neukirchen und Vluyn und erstreckte sich bis unter Randgebiete der Städte Moers, Krefeld und Duisburg sowie der Gemeinde Rheurdt.
 
Am 1. Oktober 1917 war es endlich soweit. Die ersten 21 Förderwagen mit Steinkohle (Esskohle) gelangten im Schacht I in Neukirchen aus 430 m Tiefe ans Tageslicht.
Mit dem Beginn der Kohleförderung war innerhalb kürzester Zeit ein neuer Erwerbszweig entstanden, der den ländlich dörflichen Charakter der Gemeinden Neukirchen und Vluyn maßgeblich verändern sollte. Neben den handwerklichen und landwirtschaftlichen Tätigkeiten der Einwohner dominierte nun der Beruf des Bergmanns. Die notwendigen Arbeitskräfte für die Zeche konnten jedoch nur zu einem geringen Teil aus der einheimischen Bevölkerung gestellt werden. Vor allem aus Schlesien und Ostpreußen wurden Bergleute angeworben, so vervielfältigte sich die Zahl der Belegschaft in kurzer Zeit, zwischen 1917 und 1929 von 500 auf 2000 Bergleute.
 
Für die neuen Belegschaftsmitglieder und ihre Familien musste die Zeche geeignete Wohnmöglichkeiten bereitstellen. In der Zeit zwischen 1916 und 1927 entstanden fünf Bergmannssiedlungen. Der günstige Wohnraum sollte Arbeitskräfte anwerben und an die Zeche binden. Zusätzlich wurden Kindergärten, Schulen sowie eine evangelische und katholische Behelfskirche zunächst nur auf dem Gebiet der Gemeinde Neukirchen gebaut. Der Wohnungsbedarf hielt jedoch unvermindert an, so dass man auch auf das Gebiet der Gemeinde Vluyn ausweichen musste, um eine dringend notwendige neue Schule zu bauen. Die Einwohnerzahl der beiden Gemeinden hatte sich von 1910 (4000) bis 1927 (8500) mehr als verdoppelt.
 
(Torhaus Niederberg, 1959, Copyright Museumsarchiv NV)
 
Aufgrund der geografischen Lage der Schachtanlage erhielt allerdings die Gemeinde Neukirchen die gesamte Gewerbesteuer. Um die Lasten nun gerechter zu verteilen, entschlossen sich die beiden Gemeinden Neukirchen und Vluyn zu einem Zusammenschluss. So entstand 1928 die Doppelgemeinde Neukirchen-Vluyn, die 1981 mit 25.000 Einwohnern zur Stadt wurde.
Während des zweiten Weltkrieges konnte der Betrieb und die Produktion der Schachtanlage, trotz der besonderen Herausforderungen, aufrechterhalten werden. Teile des Zechengeländes und 350 Wohnungen in den Kolonien wurden zerstört. Am 3. März 1945 rückten amerikanische Truppen in Neukirchen-Vluyn ein und besetzten das „Bergwerk Niederberg“. Der damalige Bergwerksdirektor Wilhelm Reuter hatte sich einem Befehl des Wehrbezirkskommandos widersetzt und die Zechenanlage nicht gesprengt. So konnte die eingestellte Kohlenförderung bald wieder aufgenommen werden.
 
Die Flözdichte im Grubenfeld der „Schachtanlage Niederberg“ war im Vergleich zum Ruhrgebiet gering. Es wurden sechs Flöze gebaut, die mit einer Ausnahme alle geringmächtig waren, mit einer Höhe um 70cm. Die Hausbrand-Anthrazitkohle hatte eine sehr gute Qualität und fand guten Absatz. 1989 war Niederberg die größte Anthrazitkohlenzeche Europas.
Nachdem sich der Bund und das Land NRW aus der Kohleförderung zurückgezogen hatten, die in der Mitte der 1970er Jahre beschlossen worden war, wurde die heimische Kohle im Verhältnis zur Importkohle unwirtschaftlich. Die RAG (Ruhrkohle) entschied daraufhin die Zechen nach einem geordneten Plan zu schließen und so fand am 28.12.2001 die letzte Grubenfahrt in der Schachtanlage Niederberg in Neukirchen-Vluyn statt.
Infolge darauf wurden alle Produktionsanlagen und Gebäude der Anlage abgetragen und gesprengt.
 
(Luftaufnahme Niederberg, 1970, Copyright Museumsarchiv NV)
 
Seit 2011 ist der Wandel der Bergbaufläche zu einer neuen zukunftsorientierten Nutzung deutlich voran geschritten. Es ist in den letzten Jahren unter anderem gelungen, über den Verkauf von Wohnbaugrundstücken rund 200 Familien anzusiedeln. Damit einher ging auch die Erstellung von hochwertigen Grün- und Freiflächen, welche ein ehemals nicht zugängliches Betriebsgelände heute für die breite Öffentlichkeit erlebbar machen.
 
Jutta Lubkowski, 2015

 

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