Der große Krieg in Neukirchen-Vluyn
15.08.2021
Überschattet vom zweiten Weltkrieg ist „der große Krieg“ in Deutschland ein eher unbeachtetes Kapitel [...]. Dabei hatte der Krieg massive Auswirkungen auf die deutsche Bevölkerung. Über zwei Millionen gefallene Soldaten waren bis 1918 im Heer zu beklagen, die höchsten Verluste aller beteiligten Armeen. Aber Kämpfe auf deutschem Terrain fanden praktisch nicht statt. So entstand die Mär der „im Felde unbesiegten“ Armee und ebnete den Weg für die politischen Elemente, welche die Weimarer Republik von Beginn an zum Untergang verdammten. Neben der Kriegsschuldfrage ist es dieses Thema, was in der Regel im Fokus steht.
Doch was ist eigentlich mit den Jahren dazwischen? Wie wurden hier die Menschen beeinflusst? Und ganz besonders Menschen aus Neukirchen-Vluyn?
Dass der erste Weltkrieg nicht folgenlos für die deutschen Soldaten blieb, stellte man in der Region schnell fest. Schon 1914 öffneten die Pforten des Schlosses Leyenburg, welches bis Ende des Krieges als Lazarett fungieren sollte. Der Vaterländische Frauenverein (Vorläufer des Roten Kreuz) kümmerte sich über die gesamte Kriegsdauer um verwundete deutsche Soldaten. Minna Kremers agierte als Vorsitzende und erhielt unter anderem von Hilde und Maria aus der Springen-Dynastie Unterstützung. Wer sich die Fotos aus der damaligen Zeit anschaut, ist überrascht, dass dies eher wie eine gesellige Runde, denn ein Lazarett aussieht. Der Schrecken des Krieges wurde hier vermutlich bewusst ferngehalten aus diesen Gruppenfotos.
(„EisenerBestand“, Lazarett Leyenburg, Bildmitte Dr. Augustin mit Gattin, 1918)
Doch die Neukirchen-Vluyner Bevölkerung war schon vor Kriegsausbruch an Soldaten gewöhnt. In den ersten Wochen des Krieges kamen Soldaten aus Deutschland auf Zwischenstation hier an und wurden von den Familien aufgenommen, die teilweise eigene Söhne oder Väter ziehen lassen mussten. Vorbereitet waren aber zumindest die jungen Männer darauf, in den Krieg zu ziehen. Neben dem Wehrdienst waren sie auch in Neukirchen-Vluyn in den deutschlandweit verbreiteten Jugendwehren gewesen und dort mit vormilitärischen Übungen auf die Zeit im Heer vorbereitet worden. Die Leitung der hiesigen Jugendwehr bestritt übrigens 1915 der damalige Vluyner Pastor Keudel, vielleicht als Ersatz für Leiter, die selber nun im Krieg waren.
Und es waren einige Neukirchen-Vluyner auf den Schlachtfeldern der West- und Ostfront unterwegs. Von denen, die nicht zurückkehrten, zeigen die Gedenktafeln im Eingangsbereich der evangelischen Dorfkirche in Vluyn. Eine Todesanzeige der Zeche Niederberg verrät uns, dass sich die Bevölkerung hier schon im November 1914 damit arrangieren musste, dass nicht alle Ihre Söhne und Väter zurückkehren würden. Der Tod des Bergwerksdirektor Eduard Siebert wird von der Zeche beklagt, allerdings nicht ohne darauf hinzuweisen, dass er - wie bei seiner Bergwerkstätigkeit - auch auf dem Schlachtfeld pflichtbewusst gehandelt hatte. Andere Bewohner waren da glücklicher, Feuerwehrmann Peter Agten hatte im Krieg bei der Luftwaffe einen der gefährlicheren Jobs. Und das Foto suggeriert auch eher Abenteuer, denn tödlichen Konflikt in Europa. Auch andere Bürger, wie der damalige Metzger Samanns finden sich als Fotos in unserem Archiv.
(Peter Agten (li.) bei den Fliegern (1914-18))
Auch wenn die Front nicht auf deutschem Boden lag, waren die Auswirkungen bis in die Dörfer zu spüren, selbst in Neukirchen-Vluyn. Tote und Verwundete waren Alltag und standen im starken Kontrast zu Feldpostkarten, die 1915 noch patriotische Motive zeigten und mit Rhetorik des 19. Jhd. patriotische Gefühle bei den Empfängern der Feldpost auslösen sollten. Dass dies zu 100 Prozent gelungen ist, darf allerdings bezweifelt werden.
(Feldpostkarte „Die Wacht am Rhein“)
Bastian Wiesemeyer
(Bilder: Copyright by Museumsarchiv NV)